Dienstag, 14. August 2018

Was ist ein Leben ohne Liebe? - Wie man die Zeit anhält


Stellt euch mal vor, ihr hättet die Möglichkeit nur noch sehr langsam zu altern, sodass ihr die Möglichkeit hättet, Jahrhunderte zu überleben. Wäre das nicht cool? Na ja, Tom Hazard findet das eher nicht so cool. Mit seinen 439 Jahren ist er deutlich älter, als es für Menschen üblich ist und deshalb weiß er auch nur zu gut, wie gefährlich dieses Leben sein kann und worauf man alles  verzichten muss. 



Was ist ein Leben ohne Liebe?

Wer glaubt, Wie man die Zeit anhält ist bloß eine weitere typische Zeitreise-Geschichten, der liegt falsch. Zwar spielt Zeit in der Geschichte eine wesentliche Rolle, allerdings in einem anderen Maße, als gedacht. Der Protagonist Tom Hazard ist einer von wenigen anderen Menschen, die ab ihrem elften Lebensjahr nicht mehr im normalen, sondern in einem ganz langsamen Tempo altern.
So kommt es, dass Tom zu Beginn des Romans 439 Jahre alt ist. So spannend das auch klingt, findet Tom das gar nicht mehr so toll. Im Gegenteil, er hat dadurch schon so einiges mitgemacht, denn im Mittelalter galt dieses Phänomen als Hexerei und auch heute würde sich die Forschung nur so auf ihn stürzen, dabei wünscht er sich doch nur eines  endlich zur Ruhe kommen, nicht mehr alleine sein.
Seine Tochter finden. Denn auch Toms Tochter wurde mit dieser Gabe gesegnet oder, in seinen Augen vielmehr verflucht. Er hat Marion und ihre Mutter, seine erste große Liebe Rose damals verlassen, um sie zu schützen. Erst Jahre später, als er Rose im Sterbebett besuchte, erfuhr er, dass auch Marion aufgehört hatte, zu altern.

Tom hatte sich vor langer Zeit der sogenannten Albatros-Gesellschaft angeschlossen. Der Kopf dieser Gesellschaft heißt Hendrich. Er ist von allen der Älteste und ist stets darum bemüht, die Albas von den Eintagsfliegen, also den normalen Menschen, zu trennen. Hendrich hat die Regel aufgestellt, dass kein Alba je lieben darf, denn das gefährdet ihre Existenz.
Darüber hinaus müssen die Mitglieder der Gesellschaft alle acht Jahre ihre Identität wechseln, da es nach dieser Zeit allmählich auffällt, dass sie nicht altern. Dafür bietet Hendrich ihnen Schutz und Geld, er organisiert die neuen Existenzen der Albas. Im Gegenzug müssen sie alle acht Jahre eine Auftrag für ihn erfüllen, meist jemand Neuen anwerben. So funktioniert das System.
Ein System, von dem Tom nie so ganz überzeugt war, doch es blieb ihm keine Wahl, denn die Alternative wäre der Tod und dem kann er nicht entgegen treten, ehe er Marion gefunden hat.

Tom lässt sich zu Beginn des Romans in London nieder, wird Lehrer für Geschichte und lernt seine bezaubernde Kollegin Camille, die Französisch unterrichtet, kennen. Es ist nicht das erste Mal für Tom, dass er in London lebt. Vor allem mit Rose und Marion hat er hier gelebt und der Erinnerungsschmerz ruft stetig lebhafte Erinnerungen hervor.
So kommt es, dass wir Tom durch das mittelalterliche England begleiten, zu Zeiten Shakespeares, für den er im Übrigen gearbeitet hat, aber auch durch das viktorianische London. Es ist in gewisser Weise also schon eine Zeitreise, die jedoch bloß auf den Erinnerungen des Protagonisten beruht und nicht etwa auf eine wahrhaftige Reise in die Vergangenheit.
Diese Art von Zeitreisen mochte ich sehr gerne. Ich fand es interessant zu sehen, wie Tom in der Zeit gelebt hat und wen er alles getroffen hat. Für mich hat der Autor den Zeitgeist dieser unterschiedlichen Epochen auch sehr gut eingefangen.

Neben dem zentralen Motiv der Zeit, spielt aber auch die Liebe eine sehr große Rolle. Tom betont immer wieder, wie sehr er Rose geliebt hat. Man spürt es förmlich durch die Seiten hindurch, ebenso die Liebe zu seiner Tochter. Er hat niemals aufgegeben nach Marion zu suchen, obwohl sie irgendwo am anderen Ende der Welt sein könnte. Die Liebe zu Marion hält ihm am Leben und treibt ihn Tag für Tag an.

Für mich ist Liebe die wahre Essenz der Geschichte, denn es wird deutlich, dass nur die Liebe das Leben lebenswert macht.

Erst als Tom Liebe empfindet, wird er lebendiger, sowohl in der Vergangenheit, als auch in der Gegenwart. Ein Leben in Isolation, in welchem man sich nur oberflächlich auf andere Menschen einlässt, das ist ein sehr einsames und wenig lebenswertes Leben  jedenfalls für Tom.

Was ist ein Leben ohne Liebe? In meinen Augen ist unter anderem dies eine Frage, die der Roman aufwirft und die besonders zum Nachdenken anregt.

Denn was hat man schließlich von all der Lebenszeit, wenn man sie alleine verbringen muss?
„Plötzlich weiß ich, dass es egal ist. Es ist egal, dass wir unterschiedlich altern. Es ist egal, dass wir den Gesetzen der Zeit nicht trotzen können. Die Zeit, die vor einem liegt, ist wie das Land hinter dem Eis. Man kann vielleicht erraten, was da ist, aber man kann es nicht wissen. Wir kennen immer nur den Moment, in dem wir uns befinden.“
Matt Haig: Wie man die Zeit anhält, S. 349


Bewertung

Ich habe Wie man die Zeit anhält bereits vor einem halben Jahr im englischen Original gelesen und da hat es mir schon sehr gut gefallen. An der Stelle möchte ich auch unbedingt die deutsche Übersetzung loben, die in meinen Augen sehr gut gelungen ist!
Mir gefällt vor allem, dass dies mal eine Art von Zeitreise beinhaltet, der man so nicht oft begegnet. Diese Zeitsprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart haben mir ausgesprochen gut gefallen. Dass sie nicht chronologisch angeordnet sind, sondern immer mit dem Impuls einer Erinnerung ausgelöst wurden, finde ich sehr gut durchdacht.
Auch Tom als Protagonist hat mir sehr zugesagt. Ich fand ihn sehr greifbar und konnte mich gut in ihn hineinfühlen. Gleiches galt auch für Camille, die ich sehr sympathisch fand und auch für die Rektorin Daphne, die mich mit ihrer süßen, aufdringlichen Art doch zum Schmunzeln gebracht hat.
Matt Haigs Schreibstil konnte mich von der ersten Seite an begeistern. Er kann sowohl ernst, aber auch humorvoll sein, was diesen Roman zusätzlich den gewissen Charme gibt. So konnte er sich zum Beispiel nicht verkneifen, darüber zu scherzen, wie gerne die Briten über das Wetter reden.
Das Einzige, was mir auch beim zweiten Lesen nicht gefallen hat, ist das abrupte Ende. Alles passiert Schlag auf Schlag und ist so hektisch, dass es fast schon gezwungen wirkt. Das ist enorm schade, tut der gesamten Geschichte aber glücklicherweise keinen Abbruch.

Wie man die Zeit anhält von Matt Haig erhält von mir vier von fünf Kreuzen.



BUCHDETAILS

Titel: Wie man die Zeit anhält
Autor: Matt Haig
Übersetzung: Sophie Zeitz
Verlag: dtv
Preis: 20,00€
Sonstiges: Hardcover, 384 Seiten

Die Buchdetails sind der Webseite von dtv entnommen.
Vielen Dank an Stefanie Broller und dtv für das Rezensionsexemplar!

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